Entwicklerin recherchiert in Stack Overflow

Wissensdokumentation in der Praxis: Das Stack-Overflow-Prinzip

Handbücher, Projektdokumentationen, Bedienungsanleitungen, Leitfäden: Wenn wir Wissen dokumentieren, dann tun wir dies möglichst umfassend und systematisch. Gleichzeitig wissen wir aus eigener Erfahrung: Wenn man etwas wissen muss, hat man selten die Zeit, umfangreiche Dokumente zu lesen und sich in gründlich in ein Thema einzuarbeiten. Was man braucht, ist eine kurze, präzise Antwort auf eine ganz konkrete Frage – und zwar sofort.

Frequently Asked Questions

Aus diesem Bedürfnis heraus ist eine ganz eigene Form der Wissensdokumentation entstanden: FAQs (Frequently Asked Questions) sind Sammlungen von häufig gestellten Fragen – und den passenden Antworten.

Dieses einfache Prinzip des Wissensmanagements hat im Internet eine lange Tradition, insbesondere in den Newsgroups des Usenet. Ursprünglich wurde insbesondere Basiswissen zu IT- und Technologie-Themen auf diese Weise dokumentiert, aber inzwischen gibt es FAQs zu allen erdenklichen Themen. Auch im Kundendienst sind FAQs beliebt, weil sie die Mitarbeiter von Routinefragen entlasten.

Wirklich hilfreich ist ein FAQ allerdings nur dann, wenn man nicht bloss bestehende Antworten durchsuchen, sondern auch neue Fragen stellen kann. Denn wer sich in einem Thema auskennt, hat oft keine Vorstellung davon, was andere nicht wissen (und deshalb fragen wollen). Viele FAQs verfolgen dabei einen offenen Ansatz: Nicht nur eine vordefinierte Gruppe von Experten, sondern jeder Benutzer des FAQs darf eine Frage beantworten.

Auf diese Weise kann sich um ein FAQ eine eigentliche Community bilden, was den Wissensaustausch zu diesem Thema ganz entscheidend fördert. Zudem bleiben so die Grenzen zwischen Experten und Nicht-Experten durchlässig, und nicht selten werden so aus den Antwortsuchenden von heute die Spezialisten von morgen.

Die Besonderheiten von Stack Overflow

Im Kern ist auch Stack Overflow ein FAQ: Hier finden Software-Entwickler Antworten auf ihre Fragen zur Programmierung. Allerdings weist Stack Overflow einige Besonderheiten auf, welche den ausserordentlichen Erfolg dieser Plattform erklären.

Bewertung von Fragen und Antworten

Der wichtigste Unterschied zu einem normalen FAQ besteht darin, dass es auf Stack Overflow meist nicht nur eine, sondern mehrere Antworten auf eine Frage gibt. Diese Antworten werden dann von anderen Benutzern mit Plus- oder Minus-Punkten bewertet, wobei die Antwort mit der höchsten Punktzahl (im Idealfall also die beste Antwort) zuoberst steht.

Das ist ein ganz wesentlicher Vorteil gegenüber einem Forum, wo man die wirklich hilfreiche Antwort oft erst ganz am Schluss einer längeren Diskussion findet. Das Rating-System von Stack Overflow ist also nicht nur ein Mechanismus für die Qualitätssicherung, sondern es macht die Nutzung wesentlich effizienter.

Übrigens werden nicht nur Antworten, sondern auch Fragen bewertet. Indem man einen Plus-Punkt vergibt, signalisiert man: «This question shows research effort; it is useful and clear.» Dieses Prinzip sorgt dafür, dass man auf Stack Overflow viele wirklich relevante und interessante Fragen findet.

Bewertung von Benutzern

Als Benutzer erhält man Reputationspunkte, wenn die eigenen Fragen bzw. Antworten positiv bewertet werden. Diese sind nicht nur ein Gamification-Element, sondern steuern direkt die Rechte, welche man auf der Plattform hat. Je höher die Reputation, desto weitreichender die Privilegien, die man geniesst.

Auf diese Weise sorgt die Community selbst dafür, dass kompetente und konstruktive Mitglieder mehr Einfluss gewinnen. Als neuer Benutzer hingegen darf man eigentlich gar nichts ausser Fragen stellen – bevorzugt gute Fragen, denn sonst kann man sich keine Reputation erarbeiten. Als Neuankömmling mag man das als unfreundlich und elitär empfinden; aber es verhindert wirksam, dass sich Trolle und andere wenig hilfreiche Zeitgenossen in den FAQs breit machen.

Kein Small Talk

Eine letzte Besonderheit von Stack Overflow hat nichts mit der Funktionalität, sondern mit der Kultur der Plattform zu tun, die man als ausgesprochen nutzenorientiert, nüchtern oder gar streng bezeichnen könnte. Fragen müssen präzise, fokussiert und faktenorientiert sein, sonst werden sie abgewertet oder sogar gesperrt. Auch die Antworten sollen möglichst sachlich und auf dem Punkt sein. «There’s no chit-chat», heisst es explizit in der Selbstdarstellung von Stack Overflow.

Wissensdokumentation nach dem Stack-Overflow-Prinzip

Das Beispiel von Stack Overflow zeigt, dass Wissensdokumentation auch ganz anders funktionieren kann, als wir dies normalerweise kennen. Es sind wenige, aber entscheidende Unterschiede gegenüber dem traditionellen Ansatz:

  1. Es geht nicht darum, was Wissensträger weitergeben möchten, sondern darum, was Wissensempfänger tatsächlich wissen wollen.
  2. Wissen wird nicht auf Vorrat dokumentiert, sondern erst in dem Moment, wo es tatsächlich benötigt wird.
  3. Ziel ist nicht eine systematische und umfassende Dokumentation, sondern eine auf konkrete Anwendungsprobleme ausgerichtete Wissenssammlung.
  4. Das gespeicherte Wissen ist nicht statisch, sondern es wird laufend ergänzt, optimiert und neu bewertet.
  5. Es gibt keine Trennung zwischen Experten und Nicht-Experten, zwischen aktiven und passiven Teilnehmern im Wissensprozess.
  6. Sowohl das Wissen als auch die beteiligten Personen unterliegen einem kontinuierlichen Qualitätssicherungsprozess.
  7. Die Plattform ist als reine Wissensbasis, nicht als Social Network ausgelegt.
  8. Bewertungen der eigenen Beiträge durch andere Benutzer sind nicht bloss Gamification, sondern beeinflussen die Rechte auf der Plattform.

Der innovative Ansatz von Stack Overflow funktioniert selbstverständlich nicht nur für Fragen rund um die Programmierung. Längst hat sich Stack Overflow zu Stack Exchange weiterentwickelt, einem Netzwerk mit über 170 Wissensplattformen zu unterschiedlichsten Themen.

Stack Overflow für das eigene Unternehmen

Auch für die Wissensdokumentation im Unternehmen ist der Ansatz von Stack Overflow gut geeignet. Unter dem Namen «Stack Overflow for Teams» kann man die Software, auf welcher das öffentliche Stack Overflow basiert, für die eigene Wissensbasis nutzen. Stack Overflow for Teams kann man sowohl im SaaS-Modell in der Cloud als auch auf dem eigenen Server betreiben – letzteres allerdings nur im Enterprise Plan.

Articles und Collections

Interessanterweise bietet Stack Overflow for Teams zwei Zusatzfunktionen, welche doch wieder in die Richtung einer traditionellen Wissensplattform gehen:

  • Unter «Articles» kann man neu auch längere Dokumente mit formatiertem Text und Bildern erstellen, wie man dies von jedem Intranet her kennt. Dadurch kann man jene Inhalte ebenfalls auf Stack Overflow ablegen, die sonst mit Microsoft Word oder Google Docs erstellt würden. Eine Integration in das FAQ-Konzept ist insofern gegeben, als Articles auf Fragen und Antworten verlinken können. Ausserdem bieten Articles einen Feedback-Mechanismus, sodass hier ebenfalls eine Qualitätssicherung durch die Nutzer stattfinden kann. (Mehr zu diesem neuen Feature finden Sie in diesem Factsheet sowie in diesem Video-Tutorial).
  • In «Collections» kann man seit kurzem mehrere Frage/Antwort bündeln. Dadurch lassen sich beispielsweise die wichtigsten/häufigsten Fragen zu einem bestimmten Thema, welche jeder Mitarbeiter kennen sollte, zusammenfassen.

Das Stack-Overflow-Prinzip mit WordPress implementieren

«Stack Overflow for Teams» ist das Original, aber längst nicht die einzige Möglichkeit, um eine Wissenplattform nach diesem Prinzip zu betreiben. Auch die Frage nach Alternativen wird selbstverständlich auf Stack Overflow beantwortet. Nebst den dort genannten Stand-alone-Lösungen gibt es mehrere Plug-ins für WordPress, welche die Kernfunktionalität von Stack Overlow nachbilden, beispielsweise AnsPressCM AnswersDW Question & Answer oder SabaiDiscuss.

Notebook-Computer, auf dem ein Schema zum Wissensmanagement zu sehen ist

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Martin Sauter, der Gründer von Metoki, ist Spezialist für Wissensmanagement. Als Chief Knowledge Officer eines Schweizer KMU hat er jahrelange Praxiserfahrung, und als Absolvent des CAS Wissensmanagement & Organisationales Lernen kennt er auch die theoretischen Grundlagen.

Gerne beraten wir Sie bezüglich Methoden und Software für das Knowledge Management in Ihrem Unternehmen. Zudem bieten wir individuelle Coachings für das persönliche Wissenmanagement.