Tools for Thought
Eine neue Software-Generation für das persönliche Wissensmanagement
5 Fazit
Betrachtet man die technischen Funktionen, dann zeichnen sich Tools for Thought insbesondere durch zwei Dinge aus:
- Sie kombinieren einen Outliner mit einem Wiki. Dadurch decken sie die beiden elementarsten Prinzipien ab, wie man Information organisieren kann, nämlich in hierarchische Ordnungen und vernetzte Strukturen. Dabei sind diese beiden konträren Konzepte absolut gleichberechtigt implementiert und vollständig integriert.
- Sie realisieren mit den bidirektionalen Links und den Transklusionen zwei jahrzehntealte Ideen von Hypertext-Pionieren wie Vannevar Bush und Ted Nelson. Insbesondere den Wert von bidirektionalen Links kann man nicht hoch genug einschätzen. Sie führen zu einer wesentlich dichteren Vernetzung der Wissensbasis und machen zudem die Frage hinfällig, wo man eine bestimmte Information ablegen soll, weil sie über die Linked References jederzeit auffindbar ist.
Was aber hat das mit der Zettelkasten-Methode zu tun? Eigentlich nichts. Natürlich kann man Niklas Luhmanns Arbeitsweise in einem Tool for Thought abbilden. Aber weder braucht man zwingend eine derartige Software, um nach der Zettelkasten-Methode zu arbeiten, noch muss man diese Methode anwenden, um ein Tool for Thought sinnvoll nutzen zu können. Der Verweis auf Luhmanns Zettelkasten, der sich in unzähligen YouTube-Videos über die Tools for Thought wiederfindet, ist deshalb wenig hilfreich – auch wenn selbstverständlich die Kombination aus Methodik und Tool eine besonders interessante Form des persönlichen Wissensmanagements darstellt.
Die neue Software-Kategorie der Tools for Thought erfordert einen gewissen Einarbeitungsaufwand. Das mag erstaunen, denn die grundlegenden Konzepte – Seiten, Blocks, Einrückungen, Links, Einbettungen – sind einfach zu verstehen. Bis man allerdings den vollen Nutzen aus den verschiedenen Varianten des Verlinkens und Einbettens ziehen kann, dauert es seine Zeit. Auch muss man seine eigenen Konventionen und Abläufe entwickeln (und konsequent einhalten), denn die Tools for Thought geben praktisch nichts vor. Diese Offenheit ist Stärke und Schwäche zugleich. «Roam is simple but not easy»: [37] Dieser Satz von Conor White-Sullivan gilt nicht nur für Roam Research, sondern für alle Tools for Thought, und man sollte ihn ernst nehmen.
Diese Produkte sind allesamt noch sehr jung. Viele Dinge sind noch nicht fertig entwickelt oder schlecht dokumentiert, gewisse fortgeschrittene Anwendungen verlangen sogar die Eingabe von Code. Derzeit sind die Tools for Thought noch eine Lösung für Early Adopters, die bereit sind, sich vieles selbst zu erarbeiten und fehlende Funktionen über Plug-ins nachzurüsten.
Zudem muss man mit dem Risiko leben, dass sich ein Produkt nicht am Markt etablieren kann und wieder verschwindet – was natürlich fatal ist, wenn man seine gesamte Wissensbasis damit betreibt. Vor diesem Hintergrund wird derzeit intensiv über die Interoperabilität der Tools for Thought diskutiert. Viele von ihnen erlauben inzwischen den Export bzw. Import von Markup-Dateien, so dass man seine Notizen notfalls in ein anderes Tool transferieren kann.
Trotz dieser Vorbehalte bereue ich es nicht, meine persönliche Wissensbasis auf Roam Research umgestellt zu haben. Insbesondere die bidirektionalen Links sind ausgesprochen wertvoll, wenn es darum geht, Zusammenhänge herzustellen – was wiederum zentral ist für das Verstehen, Lernen und Denken. Je länger ich mich damit befasse, desto wichtiger erscheint mir die Vernetzung für das Wissensmanagement. Dieses Konzept ist zwar nicht neu: Verweise gab es bereits in der Encyclopédie von Denis Diderot, im Memex von Vannevar Bush oder im Zettelkasten von Niklas Luhmann. Die Tools for Thought ermöglichen aber noch einmal eine ganz neue Qualität der Vernetzung. Insofern scheint es mir gerechtfertigt, hier von einer neuen Software-Generation zu sprechen.
[37] Zit. nach Keiffenheim 2021, o.S.